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Beschäftigt man sich intensiver mit der Familiengeschichte, so stellt man fest, dass eine ganze Fülle von herausragenden Persönlichkeiten und Ereignissen aus dem Dunkel der Geschichte auftaucht. Und natürlich hat jede dieser Personen und dieser Ereignisse ihre eigene Geschichte. Ich möchte versuchen, in einer losen Folge von Berichten diese Geschichten wieder zum Leben zu bringen, sozusagen als Schmankerln, wie man im tieferen Süden wohl sagt, der Familiengeschichte.
Ich komme noch einmal auf Lindenau zurück. Da ist von Loth Gotthard die Rede, über den Näheres zu berichten ich versprach.
Er wurde am 11.02.1611 in Lindenau geboren als einziges Kind des Kaiserlichen Rates Georg Caspar v.M. (*01.04.1576) auf der Herrschaft Drehna, Lindenau und Trettau, der am 08.09.1614 von einem von Miltitz in Dresden erstochen wurde. Über die Hintergründe ist nichts bekannt. Seine Mutter war Maria v. Minckwitz, geb. von Wolfersdorff a.d.H. Görisdorf, die im Kindbett starb, so dass der kleine Loth im Alter von nicht ganz 4 Jahren Vollwaise wurde. Sein Urgroßvater war der Landrichter Caspar II (*1511, †1569), Herr auf Drehna, Lindenau, Trettau und Spremberg.
Loth Gotthard wurde bis zu seinem 11. Lebensjahr abwechselnd von zwei Schwestern seiner Mutter großgezogen, der Frau von Gerssdorf und der Frau von Holtzendorff., als er von einem Rittmeister mit dem Versprechen einer Rückkehr innert 4 Wochen zu dem Woywoden von Posen gebracht wurde, in dessen Diensten er zwei Jahre bleiben musste. Dabei erging es dem jetzt 13-jährigen nach eigenem Bekunden so erbärmlich, dass er heimlich das Weite suchte und lieber bettelnd durch die Lande zog auf der Suche nach seiner Heimat. Er fand glücklicherweise eine mildtätige und kluge Seele, bei der ihn dann Boten, die sein Pflegevater ausgeschickt hatte, fanden.
Nach einigem Schulbesuch empfahl ihn ein Onkel an die kurfürstliche Witwe und weiter an den dänischen Hof, wo er 11 Jahre als Page dem Kronprinzen diente. In diese Zeit fallen eine Reihe von schmerzhaften Bekanntschaften mit den Unbilden der See, so auch als Folge eines Seegefechtes bei Jütland mit den Kaiserlichen, als ihr Schiff Leck schlug und sich der verwundete Kronprinz mit 10 Leuten in einer Schute der "wilden und brüllenden See" anvertrauen musste, bis sie dann glücklich in einem Norwegischen Hafen anlandeten. Der Page Loth Gotthard wurde wieder auf See geschickt, um den Eltern des Kronprinzen Nachricht zu bringen von ihrem Sohn. Diese Reise muss fürchterlich gewesen sein; sie hat 4 Wochen gedauert, was auch für damalige Verhältnisse eine sehr lange Zeit gewesen ist, und hat rund 80 dänischen Schiffen den Untergang gebracht. Trotz aller Fährnisse ist der Page glücklich in Kopenhagen gelandet, hat die Nachricht von dem schon als tot vermuteten Prinzen gebracht und wurde postwendend wieder zurückgeschickt mit einem wohl versorgten königlichen Kriegsschiff. Diese Reise dauerte nur 6 Tage – welch ein Unterschied!
Für seine treuen Dienste hat Loth Gotthard einen kostbaren Degen, der übrigens heute immer noch von der Pastorin in Lindenau gesucht wird, bekommen und das Angebot, auf Kosten des dänischen Königs für 3 Jahre an den französischen Hof zu gehen.
Angesichts des Krieges auf deutschem Boden hat er es aber vorgezogen, "lieber einem Feinde auf Teutschen Boden Helden=müthig das Weisse imAuge als in Franckreich die kostbaren und zu nichts tauglichen vanitaten neugierig zu sehen". So ging er denn zunächst als Kornett und dann als Leutnant zu den Soldaten. Er muss Mitte 20 gewesen sein, als er meinte, nun sei es genug des Herumziehens und von seinen Vormunden Rechnung verlangte. Für 30 000 Reichsthaler hat er dann das versetzte Lindenau wieder eingelöst.
"Indem Er nun bey so angetretener Häußliecher Wirthschafft einer getreuen Gehülffin benöthiget worden. Sintemahl nach der alten Griechen Sprichwort der Jenige, so im Ehestand lebet, eingantzes Hauß, und ein Unehelicher ein unvollkommen und zerstimmelt Hauß besitze, und, daß nach Sirachs wahren Urtheil, ein Mann, der ein freundlich und fromm Weib hat, unvergleichlich sei; Sein Gut zu rathe bringe, und eine getreuen Gehülffen.ja eine Säule habe, der er sich trösten könne" – hat er die Jungfrau Ursula von Gerßdorff auf Doberschütz 1640 geheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Statt dessen sorgte er für seine Pflegetochter Charlotte Eleonore Freiin von Blumenthai, die spätere Gräfin zu Lynar auf Lübbenau und Glinicke.
10 Jahre war Loth Gotthard Landesältester des Bautzener Kreises, dann berief ihn der Kurfürst von Sachsen wegen seiner Verdienste zu einem seiner Räte. 1658 wurde ihm vom Herzog von Sachsen-Merseburg die Amtshauptmannschaft der Ämter Dobrilugk und Finsterwalde übertragen. Wiederum 10 Jahre später wurde er zum Landeshauptmann des Markgrafentums Niederlausitz gewählt.
1668, in den schwierigen Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg – das Land hatte arg gelitten unter den Verwüstungen und war teilweise nur noch dünn besiedelt – ließ Loth Gotthard die alte, hölzerne Kirche von Lindenau abtragen und eine neue, steinerne errichten "auf eigene Kosten ohne Zuthuung oderBeyhülffe einiges Unterthanen", wie respektvoll der Pfarrer von Lindenau rühmt. Er muss es also verstanden haben, recht ordentlich zu wirtschaften, da er außerdem auch noch beträchtliche Mittel in Drehna investierte.
Am 09. Februar 1678 ist er nach kurzem Krankenlager im Alter von 67 Jahren hochgeehrt wegen seiner Verdienste in Dresden gestorben.
In der Tat, ein wahrhaft buntes und erfülltes Leben!
Günter H. Wiege, Wiesbaden – August 1995
Quellen:
– Walter v. Minckwitz, div. Aufzeichnungen
– Leichenpredigt des Pfarrers Herpestus zu Lindenau
– "Unersinnliche Himmels=Liebe", gedruckt 1678
– Walter v. Boetticher, Geschichte des Oberlausitzer Adels und seiner Güter.
Bd.2.1913
– Aus der Geschichte der Standesherrschaft Drehna. Luckau 1896)
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