Schmankerl05

Schmankerl 5

Lehnwesen, Ein Lehnstag im 16. Jahrhundert
(November 1995)

Heute will ich etwas über das Lehnswesen berichten und dazu ein Protokoll über eine ‚Belehnung“ aus dem späten Mittelalter vorlegen. Wer sich schon einmal mit der Geschichte adliger Familien, vor allem im Mittelalter, befasst hat, wird unweigerlich auf Begriffe, wie Lehen oder belehnt usw. stoßen. Um nun ein wenig Licht in diese etwas schwierige Materie zu bringen, soll hier ein Exkurs über Lehnswesen und Lehnrecht folgen, der, wie ich hoffe, in verständlicher Form die Begriffe in ihrer Bedeutung erläutert.

Nun, es waren in Westeuropa wohl die Merowinger – Könige, die als erste merkten, dass sie für die Verwaltung und den Schutz ihres recht großen und verhältnismäßig dünn besiedelten Reiches verlässliche Unterstützung brauchten. Sie hatten schon bisher verdienstvollen Männern und vor allem der Kirche beträchtliche Ländereien geschenkt, um sie zu belohnen aber auch an sich zu binden. Dann aber begann eine, wir würden heute sagen, Verwaltungsreform, die dazu führte, dass Herzogtümer verliehen wurden. Diese Entwicklung nahmen die Karolinger im 8. und 9. Jh. auf, und es kam zur Ausbildung einer höheren Vasallenschaft als Vertretung der königlichen Gewalt, den Herzögen, Markgrafen, Grafen und der Reichs-Kirche. Das Prinzip der Aufgabenteilung und der Entgelte durch die Verleihung von Lehen wurde auch bei der Kolonisierung der Gebiete östlich von Elbe und Saale im 11. und 12. Jh. übernommen.

Diese Praxis bekam seine grosse Bedeutung in den folgenden Jahrhunderten bis zum 13. Jh. und galt in dieser Zeit und in vielfältigen Ausformungen in den Karolingischen Nachfolgestaaten, wie sie Ganshof bezeichnet, nämlich Frankreich, Deutschland, Burgund, dem damaligen Italien, England, den christlichen Königreichen in Spanien und den lateinischen Ländern des Nahen Osten.

Das Lehnswesen ist vom Ursprung her eine Gesellschaftsform, die auf einem ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis beruht, nämlich zwischen einem „Freien“, genannt „Vasall“, und einem anderen „Freien“, genannt „Herr“. Der Vasall ist dem Herrn zu Gehorsam und Dienst, verständlicherweise vornehmlich Waffendienst, verpflichtet. Im Gegenzug gewährt der Herr dem Vasall Schutz und Unterhalt. Der Verpflichtung zum Unterhalt kommt der Herr in der Regel durch die Ver“leih“ung eines Gutes nach – genannt das „Lehen“. Hieraus ergibt sich eine Hierarchie der Grundbesitzrechte, die in der Weiterentwicklung zu Ausstattungen führte, die normalerweise dem Staat zugeordnet sind, wie z.B. die Gerichtsbarkeit oder der Burgenbau. In Frankreich wurde das Lehnswesen als feudum oder feodum bezeichnet, woraus sich der uns bekannte Begriff des Feudalismus ableitet.

Wir sehen, dass „Huld und Treue“ die sittlichen Elemente und das Fundament sind für das Verhältnis zwischen Mann und Herrn. Die lehnrechtliche Herrschaft ist also von der Umwandlung königlichen Eigentums gegen Dienstleistung abgeleitet und Personal-, Treue- und Pflicht-gebunden, aber logischerweise damit auch entziehbar.

Verschenkt nun ein Herr einem Vasallen Grund und Boden, so spricht man von Allodial- oder Eigengut, kurz: Allod genannt, das beim Tode des Vasallen nicht an den Lehengeber zurückfiel. Die Erben konnten frei über den Besitz verfügen.

Minkwitz bei Leisnig war offensichtlich ein solches Allod-Gut, weil Dietrich II v. Minckwitz im Jahr 1264 ein „allodium“ an das Kloster Buch vermacht hat.

Dagegen handelt es sich bei der Leihe um ein Vermögen, gleich welcher Art (s.u.), das vom Eigentümer einem Vasallen zum Gebrauch und zur Nutzung für eine längere Zeit oder auf Lebenszeit überlassen wird. Juristisch gesehen ist der Beliehene Inhaber eines dinglichen Rechtes, nach römischen Recht eines ius in re aliena. Der Beliehene hatte das Recht, sogenannte Afterlehen oder Unterlehen zu erteilen. Lehen waren ursprünglich mit Belastungen verbunden, wie Abgaben, Dienstleistungen, Heerfolge. Dann gab es aber mehr und mehr Lehen, die Benefizium genannt wurden, d.h. die weitgehend lasten- und abgabenfrei waren. (Das sah mit den Unterlehen natürlich anders aus, da die Beliehenen von diesen Lehen lebten.) In der zweiten Hälfte des 12. Jh. wollte Friedrich I. Barbarossa seinen Staat auf lehnrechtlicher Basis organisieren, was ihm aber nur zum Teil gelang. Aber dadurch besaßen die Reichsfürsten und Herzöge, wie z.B. Heinrich der Löwe, der größte Teil der Bischöfe und einige Äbte der Reichsabteien, die meisten Markgrafen und einige Grafen ihre Herrschaftsgewalt aus der Hand des Kaisers. Die Markgrafen und Grafen, die nicht zum Reichsfürstenstand rechneten, erhielten ihre Herrschaftsgewalt vom jeweiligen König in Unterleihe. (Seit der Zeit Kaiser Ottos I. war Böhmen Reichslehen bis zum Jahr 1806!)

Ganshof verweist darauf, dass neben diesen Gewalten auch Ämter und zahllose Rechte „verliehen“ wurden, wie Marktgebühren, Zoll- und Münzrechte, Bergbaurechte usw., die sogenannten Regalien.

Lehen wurden erblich. Voraussetzung aber war, dass der Erbe das vom de cy us hinterlassene Erbe tatsächlich in Besitz nahm. Der Erbe musste innerhalb einer Frist an den Lehnsherrn herantreten mit der Bitte um Neubelehnung. Das kostete natürlich Geld, wie wir der beiliegenden Schilderung entnehmen können. In der Niederlausitz waren Landvogt und Amtshaupleute die Beauftragten für die Lehenvergabe. Auch das kennzeichnet den generellen Bedeutungswandel der Vasallität.

Eine besondere Form der Belehnung war die sogenannte Gesamtbelehnung von mehreren Personen. Dies geschah, um das Erbrecht aller Söhne zu sichern.

Den vasallitischen Bindungen und Beziehungen entspricht auf der Negativseite die Pflichtverletzung und Treuaufsage. Das bedeutet, dass der Herr bei einer schweren Verfehlung seitens des Vasallen das Lehen einziehen konnte, wie ja im Falle des Nickel v. Minckwitz durch den Herzog von Sachsen als Lehengeber geschehen.

Interessant ist übrigens, dass das Heilige Römische Reich noch bis 1806 ein Lehnsstaat geblieben ist und dass erst in den folgenden Jahren durch Allodifizierung und Beseitigung das Obereigentum der Lehnsherren aufgehoben wurde. Wie schwer die Trennung von althergebrachten Rechten, wenn sie inhaltlich auch längst ausgehöhlt waren, fiel, zeigt die Tatsache, dass es nach 1918 noch Gesetze der Länder und des Deutschen Reiches bedurfte und 1947 eines alliierten Kontrollratsgesetzes, um restliches Obereigentum zu beseitigen.

Ein Lehnstag im 16. Jahrhundert

In Handschriften aus den Jahren 1561 und 1600 hat man Protokolle gefunden von Lehnstagen, die der Fürstbischof von Münster abgehalten hat. Die Bedeutung dieser Protokolle liegt nicht nur darin, dass sie den Ablauf der Investitur (mit den Lehen) wiedergeben und die damals gültigen Rechtsnormen schildern, sondern dass sie auch aufzeigen, wie allgemein zu jener Zeit die Belehnung vorgenommen wurde. Der Lehnsherr war Johann IV., Graf von Hoya, von 1553 – 1614 Fürstbischof von Osnabrück.

Er schrieb den Lehnstag für den 25. Mai 1561 aus und lies den Erlass von den Kanzeln verkünden. In Osnabrück, nahe der Domkirche, errichtete man ein mit staffelförmigen Sitzen versehenes Gebäude, das für etwa 300-400 Personen ausreichte. 91 Personen von der Ritterschaft wurden als Lehnsempfänger erwartet mit mindestens je zwei Dienern.

Am Lehnstag wurde erst eine feierliche Messe abgehalten, dann zog der Lehnsherr in das Gebäude, nahm Platz auf einem thronartigen Sitz. Flankiert wurde er von dem Dompropst, dem Sangmeister, dem Domdechant und dem Senior. Auf Befehl des Lehnsherren hielt dann der Kanzler eine Ansprache an die Lehnsmannen und ernannte aus ihrer Mitte den Lehnsrichter. Nach tiefer Verbeugung kniete dieser vor dem Lehnsherren nieder, leistet den vom Kanzler abgenommenen Lehnseid:

Dass ich dem Hochwürdigen Fürsten und Herrn Johann, postulirten und bestätigten zu Osnabrück, meinen gnädigsten Fürsten und Herrn, Sr. fürstl. Gnaden Kirchen und Stift treu und hold will sein, ihr Bestes Tun und Ängste kehren, nach meiner Macht als ein gut getreuer Lehnsmann seinem Herrn und Rechten schuldig, gelobe und schwöre ich sonder Arglist, dass mir Gott so helfe und alle seine Heiligen.“

und empfängt die Belehnung. Nachdem dies geschehen, lässt sich der Lehnsrichter auf einer besonderen Bank nieder und bestimmt aus der Zahl der Lehnsmannen zwei Beisitzer, welche in gleicher Weise, wie bei dem Lehnsrichter geschehen, die Belehnung empfangen und sich zur Rechten und zur Linken des letzteren niederlassen. Hierauf ernennt der Lehnsrichter einen „Fürsprecher, um Ihrer fürstlichen Gnaden und des Lehnsgericht Notdurft vorzutragen“. Auch dieser wird in der beschriebenen Weise in Lehnspflicht genommen und setzt sich hierauf dem Lehnsrichter gegenüber nieder. Danach wird das Ausschreiben des Lehnstages verlesen und durch den Fürsprech der Lehnsrichter befragt, ob derselbe gesonnen sei, das Lehnsgericht zu hegen, nach richtigem Lehnsrecht. Dieser antwortet, nachdem er sich mit dem „Umbstande“ beredet hat, dass, „nachdem er von Gott die Gnade und vom Herren die Macht habe, möge er dieses Tun.“ Nunmehr wendet sich der Lehnsrichter an die versammelten Lehnsmannen, denen er eröffnet, dass er von wegen Ihrer fürstl. Gnaden das Lehnsgericht hegen werde zum ersten, ändern und drittenmal. Er verwarnt ferner die Mannen, „daß sie meiden Scheltworte und andre Unlust, Keiner weiche, so lange das Gericht gehegt wird, und Keiner rede wahrend der Verhandlung. Er warne einen Jeden, sich vor Schaden zu hüten“.

Hiernach wird die Lehnsmannschaft vor die Lehnsgerichtsbank gefordert und es beginnt nun eine Besprechung des geltenden Lehnsrechts, in Fragen formuliert und nach Artikeln geordnet, welche der Fürsprech dem Lehnsrichter vorträgt. Dieser bezeichnet dasjenige Mitglied der ritterschaftlichen Lehnsträger, welches zu antworten hat. Bevor dies geschieht, bespricht sich der Gefragte mit seinem „Umbstande“. Falls kein Einspruch gegen die Antwort zu erheben ist, bestätigt der Lehnsrichter die Richtigkeit derselben.

z.B. der Artikel 2: Ist der zu seinen Jahren gekommene Lehnsmann schuldig, das Lehen persönlich von dem Lehnsherren zu empfangen?

Antwort: Ein Jeder ist verpflichtet, sein Lehen selbst zu empfangen und Eid und Pflicht zu Tun, wenn er nicht rechtmäßig daran verhindert wird, in welchem Falle er zum Empfang und zur Lösung des Lehnbriefes einen Bevollmächtigten verordnen müsse.

Der 7. Artikel lautet: Was geschieht nach dem Lehnrecht, wenn Brüder vorhanden sind, welche ihre Lehngüter geteilt haben und Jeder seinen Anteil besonders zu Lehen empfangen wolle?

Anwort: Dem steht nichts im Wege. wenn jeder derselben seine Lehnspflicht genügen wird und sie zu gesamter Hand belehnt worden sind.

Jeder Lehnsmann hat vor der Belehnung das Verzeichnis seiner Lehngüter zu übergeben. Nach empfangener Belehnung sind die Lehnsbriefe in der Kanzlei zu empfangen. Die Frage, was dafür der Kanzlei und dem Lehnsherren zu empfangen gebühre, wird damit beantwortet, dass dem Lehnsherren für „Heergewedt“ nach jetziger gangbarer Münze 3 Taler, dem Hoffmeister 1 Taler und der Kanzlei 1 Taler zu entrichten sei. Auf Befehl des Lehnsherren eröffnet ein Lehnsmann den versammelten Lehnsmannen, dass aus drei Ursachen der Lehnsherr die Alienation und Verpfändung den Lehnsmannen nicht zu verweigern habe:

– wenn ein Lehnsmann in seines Lehnsherren -Diensten im Felde gefangen werde.
– dass es die eheliche Bestattung (Ausstattung) seiner Tochter erfordere.
– wenn er nach Jerusalem wallfahren werde.

Schließlich erklären Sr. Fürstl. Gnaden, dass sie mit der bevorstehenden Belehnung Jedermann in seinen Rechten schützen werde. Nach dieser Kundgebung befragt der Lehnsrichter die Mannen, ob er mit seinen Beisitzern sichnunmehr aus dem gehegten Gerichte begeben und dem Lehnsherren zu der bevorstehenden Belehrung Raumgeben solle.

Die Antwort lautet: Ja!

Hierauf erhob sich der Lehnsrichter mit den Beisitzern. Die Bank wurde entfernt und zwei Diener legten Kissenvor den Lehnsherren nieder, worauf jedes Mal ungefähr 10 oder 12 der Mannen vor Ihrer Fürstl. Gnaden niederknieten, den vom Kanzler vorgelesenen Lehnseid leisteten und von Sr. Fürstl. Gnaden mittelst Handreichung die Belehnung empfingen.

Nachdem dieser feierliche Akt beendet war, erhob sich der Lehn Nahen Osten. Herr, gefolgt von den Herren des Domkapitels und der Ritterschaft, und begab sich in den Hof des Seniors. Hiernach erhielten die Lehnempfänger in der Kanzlei nach Vorlegung von beglaubigten Kopien ihrer letzten Lehnbriefe und nach Erledigung der erforderlichen Gebühren die neuen Lehnbriefe ausgefertigt.

Günter H. Wiege, Wiesbaden, November 1995
(Gekürzt und bearbeitet nach: H. Frhr. v. Ledebur, Ein Lehnstag im 16. Jahrhundert. Berlin 1908)

Quellen:

  • Georg Droege, Landrecht und Lehnrecht im hohen Mittelalter. Bonn 1969.
  • Wilhelm Ebel, Über den Leihegedanken in der deutschen Rechtsgeschichte. 1968 (s.u. Mayer).
  • Werner Goez, Der Leihezwang. Tübingen 1962.
  • Francois L. Ganshof, Was ist das Lehnswesen? Darmstadt 1977.
  • Ernst Klebel, Territorialstaat und Lehen. 1968 (s.u. Mayer).
  • Woldemar Lippert, Die deutschen Lehnbücher. Leipzig 1903.
  • Theodor Mayer, Hg.: Studien zum mittelalterlichen Lehnswesen. Lindau + Konstanz 1968.
  • Heinrich Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters. Weimar 1953.
  • H. Müller, Lehnrecht und Staatsgewalt. Weimar 1933. Vierte Jahresschrift für Wappen-, Siegel- und Familienkunde. XXXVI. Jh. Berlin 1908.